Nepal: Kathmandu

Mittwoch, den 1.9.1999

Die Fahrt von der nepalesischen Grenze nach Kathmandu hat einiges zu bieten: Spektakuläre Berglandschaft, als sich die Vorgebirge des Himalaya plötzlich aus der Ebene erheben, die terrassenförmig angelegten Reisfelder und eine starkbefahrene Straße in schlechtem Zustand, die zu Unfällen geradezu einlädt: Als der Busfahrer in einer 180°-Kehre mit Sicht gleich Null einen Lastwagen überholt, passiert es: Ein anderer LKW kommt entgegen, und es kommt zum Spiegelkuss! Die Schuldfrage und die Höhe der Schadenszahlungen für den kaputten Außenspiegel wird mittels einer kleinen Schlägerei zwischen den Fahrern vereinbart.

Im Bus lerne ich Martin kennen, der aus Tirol kommt und sich gerade auf einer 17-monatigen Reise durch Ostasien befindet. Mit ihm zusammen gehe ich in Kathmandu ins „Yeti Guest Home“ und mache abends noch einen Spaziergang durch die gänzlich auf Tourismus eingestellte Innenstadt: In den engen Geschäftsstraßen gibt es überwiegend Souvenirläden, italienische Restaurants und Reiseagenturen.

Donnerstag, den 2.9.1999

Im Westen Kathmandus liegt Swayambhunath, das älteste und bedeutendste buddhistische Heiligtum Nepals. Auf einem steilen Hügel erhebt sich ein immenser weißer Stupa (Kuppelbau) mit Kloster, der nach den dort lebenden Affen auch Monkey Temple genannt wird. Von dort oben habe ich eine prächtige Aussicht auf die Stadt und die umliegenden Berge. Butterlämpchen, Räucherwerk und farbenfrohe Gebetsfahnen vermitteln tibetische Atmosphäre. Die goldenen Gebetsmühlen, die die Pilger beim Umrunden des Stupas drehen, tragen die Aufschrift des heiligen Mantras „Om Mani Pademe hum“.

Kathmandu
Blick vom Königspalast auf Kathmandu.
Im Hintergrund auf dem Hügel: Swayambhunath

Zurück im Zentrum der Stadt mache ich einen kleinen Rundgang und bewundere die kunstvollen Schnitzereien an den zahlreichen Tempeln und Pagoden. Auch viele der alten Häuser von Kathmandu sind auf diese Weise verziert. Schon im 13. Jahrhundert erreichten die nepalesischen Architekten und Holzschnitzer solche Fertigkeiten, dass sie bis nach Peking an den Hof Kublai Khans berufen wurden. Ich habe inzwischen in Erfahrung gebracht, dass die Grenze nach Tibet für Individualtouristen gesperrt ist, es aber zahlreiche Reiseagenturen gibt, die sich darauf spezialisiert haben, mehrere Alleinreisende zu einer Gruppe (die die Grenze passieren darf) zusammenzuschließen. Deshalb buche ich eine am Samstag startende Gruppentour nach Lhasa, die mit Landcruisern zurückgelegt werden soll, vier Tage dauern wird und aufgrund des chinesischen Overland-Permits unverschämt teuer ist (250 US$). Zum Abendessen treffe ich mich wieder mit Martin und während langer Unterhaltungen wird es recht spät.

Freitag, den 3.9.99

Mein Gepäck wird genauestens gefilzt, denn ich möchte kein Gramm zuviel durch China schleppen: Alle Mitbringsel, Indienbücher und sonstige Dinge, die ich jetzt nicht mehr brauche, landen in einem alten Karton. Bei der Post muss ich ein kompliziertes nepalesisches Formular ausfüllen, danach wird der Inhalt meines Päckchens streng kontrolliert: Die indischen Streichhölzer, die ich als Erinnerungsstück nach Hause senden wollte, dürfen nicht mit. Dann packen Angestellte das Paket in einen hand- und maßgeschneiderten Stoffsack, der tausendfach verplombt wird. Probleme gibt es erst, als man mir die fette Rechnung von 3000 nepalesische Rupien (etwa 90 DM!) präsentiert: Soviel habe ich nicht bei mir, und US-Dollar werden nicht angenommen.

Stupa
Buddhistischer Stupa in der Altstadt Kathmandus

Die erste Bank, die ich finde, ist offensichtlich eine sehr noble, denn Geld wechseln kann man nur mit Reisepass (der sich wegen des chinesischen Visums gerade bei der Reiseagentur befindet), und im Foyer, wo sich viele „anzüglich“ gekleidete Geschäftsleute befinden, werden Häppchen, Knabbereien und Getränke gereicht. Nachdem ich mich hier durchgefressen habe, finde ich einen Geldwechsler, der mir auch ohne Pass zu dem nötigen Baren verhilft. Doch damit nicht genug: Als ich im Reisebüro meinen Pass wieder abholen will, gibt es „bad news“: Mehrere Teilnehmer hätten abgesagt, so dass die Tour am Samstag nicht stattfinden kann. Die nächste ist erst am Dienstag...

Samstag, den 4.9.1999

Durbar Square
Taleju-Tempel am Durbar Square

Der Durbar Square bildet das Zentrum von Kathmandu. Mehrmals schlendere ich über dieses tempel- und pagodenreiche Gelände. Viele Tempel sind Vishnu oder Shiva geweiht. Die Pagoden sind mehrstöckig und oft von kleineren Tempelchen umgeben. Für die Ewigkeit sind die Holzkonstruktionen der Pagoden allerdings nicht gebaut. Ein Teil des Daches vom Jagannath-Tempel (1633 erbaut) ist offensichtlich erst vor kurzem eingestürzt. Der Rest wird notdürftig abgestützt, während die Aufräumarbeiten beginnen. Am anderen Ende des Platzes steht das Haus der „lebenden Göttin Kumari“. Durch ein Tor, das von zwei Steinlöwen bewacht wird, betrete ich den Innenhof, der mit seinen reichverzierten Balkonfenstern zu den schönsten von Nepal gehört. Die lebende Göttin gilt als Inkarnation der Göttin Kali und verbringt sieben bis neun Jahre ihres Lebens in dem Palast. Nur neunmal im Jahr darf sie ihr „Gefängnis“ verlassen und wird auf einem Wagen durch Kathmandu gezogen. Die Kumari wird im Alter von vier oder fünf Jahren aus mehreren Anwärterinnen aus der Goldschmiedekaste bestimmt, und erhält ab der Geschlechtsreife (wenn eine es wieder eine neue Göttin gibt) eine Pension vom Staat. Auf einer Säule wacht die Statue Pratap Mallas aus dem Jahr 1670: Der König sitzt auf einem Lotusblumenthron und wird von einer Kobra beschützt. Dahinter der Königspalast, der einen großen Teil des Platzes einnimmt und der heute allen Besuchern offensteht. Gegen einen recht hohen Eintritt darf man ihn und das darin untergebrachte Museum besichtigen: Porträts, Jagdtrophäen, Fotos, Zeitungsausschnitte, Gegenstände des täglichen Gebrauchs und prächtige Kleider geben Zeugnis vom Leben und Wirken der nepalesischen Königsfamilie. Den Höhepunkt im wahrsten Sinne des Wortes bildet die neunstöckige Pagode, die man über Holzstiegen bis unter den Dachstuhl ersteigen kann,und von der man ganz Kathmandu überblicken kann.

Am Nachmittag laufe ich nach Pashupatinath, einem östlich von Kathmandu gelegenen hinduistischen Wallfahrtsort. Schon auf der Straße zum Tempelbezirk sitzen hunderte von Sterndeutern und Wahrsagern, die die Zukunft aus der Hand lesen zu können glauben. Neben Touristen tummeln sich hier zahllose Pilger und Saddhus. Das Hauptheiligtum, Shiva geweiht, ist für Nicht-Hindus tabu und liegt am Bagmati-Fluss, der den Nepalis ebenso heilig ist wie den Indern der Ganges. Ähnlich wie in Varanasi finden an den Ghats, den Treppen, die ins Wasser führen, Leichenverbrennungen statt. Über eine Brücke gelange ich auf die andere Seite des heiligen Wassers und genieße den Blick auf die prachtvolle Tempelstadt. Treppen führen über einen tempelbestandenen Hügel zum Guhyeshwori-Heiligtum mit seiner markanten Dachkonstruktion: Vier goldene Schlangen winden sich gen Himmel und bilden eine Pyramide. Leider findet man auch hier den Hinweis „Hindus only!“.

Lingam und Yoni
Lingam (Phallussymbol) und Yoni (Symbol für
das weibliche Geschlechtsteil)

Sonntag, den 5.9.1999

Die herrliche Landschaft im Kathmandu-Tal lädt geradezu dazu ein, eine Wanderung fernab der touristischen Hektik der Stadt zu machen. Zuerst komme ich am Bagmati zum Tripura Sundari, der der größte der 28 hier erbauten Tempel ist. Am Ufer sind Badeanlagen für die religiösen Waschungen. Auf der Straße läuft gemächlich ein mit Holz schwer bepackter Elefant. Nach kurzer Wegstrecke beginnen die Vororte der alten Königsstadt Patan, die reich an Kunstschätzen ist. Patan hat die Form eines Mandala, eines magischen Kreises, dessen Mittelpunkt im Königspalast liegt. Auf den vier Hauptachsen liegen je ein grasbewachsener Stupa, die dem indischen Kaiser Ashoka zugeschrieben werden, der Patan auf einer Pilgerfahrt im 3. Jahrhundert v. Chr. besucht haben soll.

Dann marschiere ich weiter nach Süden bis ich nach 7 km zu dem kleinen Dorf Chapagaon komme. Vor den Häusern sitzen alte Frauen und spinnen, daneben liegen Chilischoten zum Trocknen aus. Entlang der Straße stehen kleine Backsteinhäuschen, Hühner und Ziegen laufen herum, Verkehr gibt es so gut wie keinen. Von der Hauptstraße biege ich ab, und es geht weiter über Feldwege und Trampelpfade durch Reisfelder nach Santaneswor. Dieser Tempel wurde auf einem zuckerhutförmigen Hügel erbaut, der für die Gläubigen das Shiva-Lingam (Phallussymbol) darstellt. Nachdem ich mich bei toller Aussicht und einem musizierenden Saddhu etwas ausgeruht habe, mache ich mich auf den von Schulkindern bevölkerten Rückweg. In Patan genieße ich den Blick auf das einzigartige Ensemble des Durbar Square. Noch eindrucksvoller als das Pendant in Kathmandu ist hier die Ansammlung von Pagoden und Tempeln. Ebenso gibt es einen Königspalast in Patan, der aber leider schon geschlossen ist.

Im Kathmandutal
Herrlich grüne Reisfelderlandschaft im Kathmandutal

Nach einem gemeinsamen Abendessen mit Martin endet der Tag in „Sam's Bar“, die - der Zufall will es - auch von einer Tirolerin geführt wird. Dabei darf STS natürlich nicht fehlen, und alle singen mit: Und irgendwann bleib i dann dort...

Montag, den 6.9.1999

Heute treffe ich letzte Vorbereitungen für die Himalayadurchquerung (Reisebüro, Einkäufe, E-Mails) und mache mir sonst einen faulen Tag.

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