Die Gangesebene
Donnerstag, den 26.8.1999
Der Weg zum Fort von Gwalior ist relativ kurz, aber bis zum Eingang ist es trotzdem noch recht weit, da ich den
gesamten Südteil der mehrere Kilometer (!) langen Festungsanlage umrunden muss. Den Eintritt von 20 Paisa (= 1 Pfennig) muss
ich nicht bezahlen, da der Kassierer meinen 10-Rupien-Schein nicht wechseln kann. An dem steilen Weg, der zum Tor führt, sind bis
zu 20 m hohe Tirthankarafiguren in die Felswände gemeißelt. Innerhalb der mächtigen Mauern gelange ich durch Wälder
und Grünanlagen zum Teli-ka-Mandir, einem uralten Tempel, wo ich über eine enge, verwinkelte Treppe auf die Monolithen,
auf denen die Kuppel ruht, klettern kann; Geländer oder Absperrungen gibt es nicht.
Der Höhepunkt ist allerdings der Man-Mandir-Palast, dessen Fassade mit prächtigen Mosaiken verziert ist:
Friese gelber Quietscheentchen watscheln die Mauern entlang. Die Räume haben filigrane Steingitterfenster, dunkle Treppen
führen in die nach Moder und Vergangenheit riechenden Keller und Kerker. Diese schaurige Atmosphäre kann ich nur spüren,
da ich allein durch die unbeleuchteten Gänge irre, wo einst die Maharajas Kühlung suchten. Hinzu kommen die Massen von
Fledermäusen, die sich in allen möglichen Winkeln eingenistet haben, und die einen furchtbaren Gestank verursachen.
Das Fort von Gwalior
Durch das Haupttor verlasse ich das Fort und fahre mit einer Rikscha zum Jai-Vilas-Palast. Der Eintrittspreis ist
horrend, relativiert sich aber wieder angesichts der unvorstellbar prunkvollen Einrichtung: Die weltgrößten Kronleuchter,
Kunstsammlungen, Samt und Seide, sowie mit Intarsien und Schnitzereien verzierte Möbel zeugen von dem Reichtum der
ehemaligen Herrscherfamilie.
Freitag, den 27.8.1999
Gegen Mittag komme ich in Khajuraho an, einer kleinen, verschlafenen Ortschaft mit nur wenigen tausend Einwohnern.
Trotzdem landen mehrmals täglich Flugzeuge hier, denn die Tempel von Khajuraho gehören zu den bekanntesten Touristenattraktionen
Indiens. Zunächst besichtige ich die westliche Tempelgruppe mit den weltberühmten, erotischen Skulpturen an, die mit der
faszinierenden Architektur (Nagara-Stil) eine einzigartige Synthese eingehen. Die Darstellungen von Paaren beim Liebesspiel heißen
Mithuna-Figuren, und sie wirken teilweise wie ein Bilderbuch zum Kamasutra. Der Lakshmana-Tempel verdeutlicht besonders gut das
architektonische Konzept der Tempel von Khajuraho: Die Gliederung erfolgt durch Portal, Halle, Vestibül und Sanktum. Alle Teile
besitzen turmartige Dächer, die vom Hauptturm (Shikara) über dem Allerheiligsten überragt werden. Eines der Friese dieses
Tempels ist mit streng geradeaus blickenden Elefanten geschmückt.
Nur einer dreht seinen Kopf zur Seite, um schmunzelnd ein Paar bei seinem Liebesspiel beobachten zu können!
Der Lakshmana-Tempel in Khajuraho
Am Busbahnhof kaufe ich ein Ticket mit Sitzplatzreservierung für den nächsten Tag, und schaue mir
anschließend noch ein paar der verstreut liegenden östlichen Tempel an. Ein Junge, der mich die ganze Zeit begleitet hat,
führt mich in einen Antiquitätenladen, wo ich als Mitbringsel für die Eltern einen schönen Mörser kaufe,
obwohl ich ganz und gar nicht sicher sein kann, dass dieser auch wirklich alt ist (deswegen gefällt er mir aber trotzdem).
In einem indisch-chinesisch-koreanischen Restaurant esse ich zu Abend, und als ich später im Bett liege, frage ich mich, ob
diese Mahlzeit der Grund für mein Fieber ist. Trotz der Wärme ziehe ich Jeans und Pullover an, und schlafe irgendwann ein.
Samstag, den 28.8.1999
Als ich aufwache, ist das Fieber verschwunden, und ich fühle mich wieder besser. Dieser Zustand währt aber
leider Gottes nicht lange, denn als ich mich anschicke, noch einmal in den Tempelbezirk zu gehen, wird mir schwindlig und ich
krümme mich vor plötzlich einsetzenden Bauchkrämpfen. Die Rikschafahrt zum Doktor wird zur Tortur, denn mit jedem
Schlagloch wird es schlimmer (und es gibt deren viele auf dem Weg!). Der kleine Raum, in dem der Arzt an seinem Schreibtisch
und mehrere Patienten auf Stühlen sitzen, dient gleichzeitig als Wartezimmer, Behandlungsraum und Büro. Als ich an
der Reihe bin, stellt er mir ein paar Fragen, horcht mich ab und schickt mich mit einem Rezept zum Apotheker. Behandlung und
Medikamente kosten jeweils ca. 5 Mark! Den Rest des Tages verbringe ich im Bett und würge die riesengroßen und
scheußlich schmeckenden Pillen hinunter. Der Herbergsvater klopft ab und zu an meine Zimmertür und fragt, ob ich
irgend etwas bräuchte.
Sonntag, den 29.8.1999
Nachdem ich fast bis Mittag geschlafen habe, fühle ich mich wesentlich besser, so dass ich einen kleinen
Spaziergang zum archäologischen Museum wage. Hier sind hauptsächlich alte Skulpturen ausgestellt, die bei Grabungen gefunden
wurden oder einst zu den Tempeln gehörten. Das Verbot, innerhalb des Museums zu fotografieren, versuche ich dadurch zu umgehen,
dass ich die schöne Ganesha-Statue, die gegenüber des Eingangs steht, von draußen durch die offenstehende Tür
ablichte. Doch sofort springt der Zerberus dazwischen und verstellt mir die Sicht. Nun ja, war's eben nichts.
Noch einmal schlendere ich durch den herrlichen Tempelbezirk und lasse Skulptur und Architektur auf mich wirken.
Der Bus nach Varanasi fährt um 16 Uhr ab und braucht über 12 Stunden...
Mithuna-Figuren in Khajuraho
Montag, den 30.8.1999
In aller Herrgottsfrühe um halb fünf kommt der Bus in Varanasi an: Es schüttet wie aus Eimern, viele
Straßen sind überflutet. Ich besorge mir erst einmal ein Zimmer und schlafe mich richtig aus. Am Vormittag fahre ich dann zum
Gangesufer und mache eine Bootsfahrt auf dem heiligen Fluss. Dieser präsentiert sich in gewohnter Weise sehr dreckig und außer
ein paar Kühen und Büffeln ist niemand an den Ghats. Laut Baedeker sollten hier Tausende von Pilgern baden, die einmal in ihrem
Leben zur „Mutter Ganga“, dem Mekka der Hindus, pilgern. Demjenigen, der an seinen Ufern stirbt, und dessen Asche in das heilige
Wasser gestreut wird, ist der Eingang ins Nirwana sicher. Wer allerdings an Cholera oder Pest stirbt, wird unverbrannt im Fluss
versenkt! Übrigens hat jüngst ein indischer Wissenschaftler herausgefunden, das Wasser des Ganges sei trinkbar und keimfrei...
Als nächstes schaue ich mir den Durga-Tempel an, der knallrot angemalt und nicht sonderlich schön ist.
Später bleibt es mir verwehrt, auch nur in die Nähe des Goldenen Tempels zu gelangen, weil ich meinen Fotoapparat im Rucksack
habe. In dem Internetcafé, das ich nach längerer Suche gefunden habe, ist die Leitung dauernd besetzt und so bin ich
nach diesem öden Tag froh, dass ich gleich im Hotel die Busfahrt nach Kathmandu für den nächsten Morgen buchen kann.
Dienstag, den 31.8.1999
Meine Sachen muss ich früh wegen Stromausfall und Fensterlosigkeit des Zimmers im Dunkeln packen.
Um 8:30 Uhr fährt der Bus ab, dessen Fenster sich nicht richtig schließen lassen, so dass es des öfteren hineinregnet.
später muss ich feststellen, dass auch das Gepäck auf dem Dach trotz Plane nicht ausreichend vor den heftigen Schauern
geschützt war. Die starken Regenfälle während der Monsunzeit, von denen ich bisher weitgehend verschont geblieben bin,
haben die Straße vielerorts unter Wasser gesetzt.
Abends an der nepalesischen Grenze angekommen, muss ich nur noch den Spießrutenlauf über die
Riesenpfützen-Schlammpiste meistern (nämlich vom Emmigration Office India bis zum Nepal Immigration Office), im
strömenden Regen den Pass hervorkramen und einige Formulare ausfüllen; schon bin ich in Nepal und trete die
im Fahrpreis enthaltene Hotelübernachtung im 8-Bett-Schlafsaal an.