Lhasa: Die Krone auf dem Dach der Welt
Blick vom Dach des Jokhang-Tempels auf Lhasa mit dem Potala
Samstag, den 11.9.1999
Lhasa ist die Hauptstadt von Tibet (zur Zeit von China besetzt: „Autonome Region Xizang“),
3683 m hoch gelegen und hat 80.000 Einwohner. Unter der Bettdecke versuche ich, möglichst wenig Licht an den nassen, klebrigen
Film kommen zu lassen, den ich aus der Kamera ziehe und von Hand in die Filmkapsel zurückspule. Da ich nicht weiß, wie sehr
die Filme unter der Feuchtigkeit gelitten haben, lasse ich sie vorsichtshalber alle entwickeln. Dann beginnt die Suche nach einem
neuen Fotoapparat: Da gibt es billige chinesische Spiegelreflexkameras, bei denen aber immer irgendeine wichtige Funktion
versagt oder gar nicht vorhanden ist (z. B. die Filmempfindlichkeitseinstellung) oder teure von Canon und Nikon. Am Ende kaufe ich bei
einem Bastler eine gebrauchte Ricoh zu einem annehmbaren (ausgehandelten) Preis.
Da ich nun wieder mit allem Überlebenswichtigen ausgestattet bin, mache ich mich auf den Weg zum ca. 5 km
entfernte Sera. Dort erwartet mich eine tibetische Klosteranlage (Wildrosenhofkloster, 1417 gegründet) beachtlicher
Größe mit goldenen Dächern und himmlischer Ruhe, nur vereinzelte Mönche laufen mir über den Weg.
In die leider schon geschlossenen Versammlungshallen kann ich durch die Fenster im ersten Stock (erreichbar über eine
Außentreppe) einen Einblick gewinnen: Meditierende Buddhastatuen, bunte Stoffe an der Decke und die mit Teppichen
belegten Sitzreihen für die Mönche.
Klostergebäude in Sera
Das tibetische Nationalgetränk: Der Buttertee. In allen Reisebüchern steht geschrieben,
dass diese Spezialität keine Gaumenfreude ist, aber probieren möchte ich ihn natürlich trotzdem. Aber
die Bücher lügen nicht: Das salzige Gebräu aus altem Teeaufguss und Yakbutter schmeckt so widerlich, dass
es mir schwer wird, die (kleine) Tasse zu leeren. Dankend lehne ich ab, als die Wirtin nachschenken möchte...
Sonntag, den 12.9.1999
An diesem Morgen treffe ich mich mit den beiden Italienern und wir laufen zu einem Hügel, der den
besten Blick auf den Potala (Baubeginn 1643) bietet. Der „Winterpalast des Dalai Lama“ ist ein Bauwerk der Superlative:
400 m Länge, insgesamt 15.000 Säulen tragen die Decken von über 750 Hallen und 13 Stockwerken, und die goldenen Dächer
überragen die Stadt um 120 m. Drinnen habe ich so lange meine Ruhe, bis ich die Stelle passiere, an der die Gruppenreisenden
eingeschleust werden. Von nun an treten sich die Leute gegenseitig auf die Füße und in den altehrwürdigen
Gemächern, Gebetshallen und prächtigen Thronsälen geht es jetzt recht laut zu. Zahlreiche Ausstellungen, die
Kulträume und Grabstupas verstorbener Dalai Lamas vermitteln einen tiefen Einblick in die tibetische Kultur.
Der Potala
Nach dem Mittagessen besichtigen wir den Jokhang, wo wir - wie klein Lhasa doch ist! - einige Mitreisende
aus Kathmandu wiedertreffen. Der Jokhang steht im Zentrum Lhasas und ist der wichtigste Tempel der Tibeter. Pilger
und Gläubige drehen beim rituellen Umrunden die vielen goldenen Gebetsmühlen, auf denen heilige Mantras eingraviert sind.
Yakbutterlämpchen verbreiten den für tibetische Tempel typischen ranzigen Geruch. Das Innere des Tempels ist mit bunten
Stoffen und Buddhafiguren geschmückt.
Pilger im Jokhang
Einen anschließenden Spaziergang durch die Altstadt, wo wir viele versteckte und urtümliche
kleine Tempel entdecken, muss ich wegen Übelkeit (der Geruch im Jokhang!) abbrechen und verbringe den Abend im Hotelzimmer.
Montag, den 13.9.1999
An diesem Morgen geht es mir wieder besser, und so laufe ich zum Busbahnhof und kaufe eine Fahrkarte
nach Golmud für den nächsten Tag (entgegen Angaben im Reiseführer kostet diese statt 1000 Yuan (!) nur 220 Yuan).
Anschließend begebe ich mich in den nahegelegenen Norbulingka. Dieser wird seit 1755 als Sommerresidenz des Dalai Lama genutzt.
Heute treffen sich hier vor allem Tibeter zum Sonntagspicknick und zu ausgelassenem Treiben. In der weitläufigen,
wunderschönen Parkanlage (360.000 m²) sind verschiedene Paläste und Wohngebäude verteilt. In der wunderbaren
Ruhe des Norbulingka lege ich eine Rast ein und meinen Reiseführer zum Trocknen in die Sonne. Einen besonderen
architektonischen Höhepunkt bildet der Sommerpalast, in dem ich die prunkvolle Einrichtung aus den Zeiten, als der
Dalai Lama persönlich hier weilte, bewundern kann. Am Abend findet ein Abschiedsessen mit fast allen, die zusammen
von Kathmandu hierher gekommen sind, statt.
Sommerpalast des Dalai Lama im Norbulingka
Dienstag, den 14.9.1999
Zum Glück wache ich rechtzeitig auf - mein Wecker ist ja kaputt -, so dass ich den Bus nach Golmud
nicht verpasse. Das Gepäck kommt wie immer auf's Dach; im Bus befinden sich in mehreren Etagen hartgepolsterte Doppelbetten
mit den ungefähren Maßen von 1 m auf 1,50 m (!), in denen man die Busfahrt halb sitzend,
halb liegend verbringt. Während der Süden Tibets noch relativ (!) dicht besiedelt ist, führt die recht
gut ausgebaute Straße jetzt durch die kaum bewohnten tibetischen Hochebenen, wo ich in der endlosen Weite nur in
größeren Abständen einmal eine Yakherde mit Schäfer oder eine einzelne Hütte entdecken kann.
Die Yaks, die auf den kargen Steppen grasen, sind an die harten Lebensbedingungen hervorragend angepasst. Der Bus
hält nur zu 5-minütigen Pinkelpausen oder zu halbstündigen Essenspausen. Nachts wird es bei dichtem
Schneegestöber lausig kalt und im Licht der Scheinwerfer kann ich
schemenhaft meterhohe Schneeverwehungen ausmachen, die sich zu beiden Seiten der Straße auftürmen.