Peking
Samstag, den 9.10.1999
Tor des Himmlischen Friedens
Nachdem ich zum Frühstück die chinesische Version einer Crèpe gegessen habe, nehme ich eine
der besten und umfangreichsten Serviceleistungen auf meiner ganzen Reise in Anspruch: Das Büro von Mr. John in der Jugendherberge:
In diesem kleinen Zimmer mit dem freundlichen Mann hinter dem Schreibtisch gibt es Reisebüro und Touristinfo, Wäscherei,
Fax und Internetaccount. Auf meine Frage nach einem Rückflug, versucht er, eine der zahlreichen Fluggesellschaften
telefonisch zu erreichen. Dies gelingt aber nicht, offensichtlich, weil heute Samstag ist. So probiere ich es auf eigene Faust, und
nach einigem Hin und Her buche ich bei CITS einen günstigen Flug der Eastern China Airlines.
Der Nachteil ist nur, dass der Anschlussflug von Paris nach Frankfurt schon voll ist, aber dafür wird die Angelegenheit gleich
800 Yuan billiger und heimfahren kann ich auch mit dem Zug.
Anschließend laufe ich zum Tianan-Platz, wo die Halle des Volkes und die Mao-Gedenkhalle stehen, und nicht
zuletzt das weltberühmte Tor des Himmlischen Friedens mit dem riesengroßen Mao-Zedong-Bild: Big Brother is watching you!
Der Ahnentempel im „Kulturpark der Werktätigen“ neben dem Eingang zur Verbotenen Stadt gibt schon einen Vorgeschmack
auf die Pracht des Kaiserpalastes. Um den Tag abzurunden, mache ich mich noch mit einer Spezialität
Beijings vertraut: Den Hutongs. In diesen kleinen Gäßchen pulsiert das Leben, es gibt viele kleine Läden und an
jeder Ecke gibt es etwas anderes zu essen.
Ahnentempel
Sonntag, den 10.10.1999
Eines der wichtigsten Kulturdenkmäler in ganz China besichtige ich heute: den Kaiserpalast in Peking,
auch „Verbotene Stadt“ genannt, da früher kein gewöhnlicher Sterblicher den Palastbezirk betreten durfte.
Die Anlage umfasst ein Areal von 720.000 m² mit rund 9.900 Räumen. Sie ist von einer 10 m hohen Mauer und einem 50 m
breiten Wassergraben umgeben. Hier, in der „Mitte der Welt“ residierten die Kaiser der Ming- und Qing-Dynastie.
Darüber hinaus lebten hier über 15.000 Menschen, überwiegend Bedienstete der 15 Palastämter.
Durch das Mittagstor betritt man die Verbotene Stadt
Die Dächer sind alle mit gelb glasierten Ziegeln gedeckt. Dies war die Farbe des Kaisers,
weshalb auch nur die kaiserlichen Paläste mit solchen Ziegeln versehen werden durften. Bronzene Tierfiguren schmücken und
schützen die Innenhöfe und Eingänge, zum Beispiel der Löwe als Symbol für Stärke und Macht oder die
Schildkröte als Symbol für langes Leben. Außerdem stehen überall große Bottiche herum, die früher
Wasser enthielten, welches im Brandfall zum Löschen benutzt wurde, eine Art mittelalterlicher Hydrant also! Mehrere Stunden
verbringe ich hier, und habe natürlich längst noch nicht alles gesehen. Nur um die zahlreichen in den
Nebenpalästen untergebrachten Ausstellungen zu besichtigen, bräuchte man Tage. Den Kaiserpalast, den ich durch das
Mittagstor im Süden betreten habe, verlasse ich durch das Nordtor und besteige den kleinen Hügel im Jingshan-Park.
Von dort oben hätte ich eine prächtige Aussicht auf die Verbotene Stadt, wenn es nur nicht so diesig wäre.
Die Farbe Gelb war dem Kaiser vorbehalten
So laufe ich weiter bis zum Guangji-Tempel, in dem gerade ein „Gottesdienst“ stattfindet:
Es gibt einen Vorsänger und die Mönche und Gläubigen singen mit Musikbegleitung im Chor. Nachdem ich hier etwas
verweilt habe, geht es weiter zum Baita Si, dem Tempel der weißen Pagode. Er wurde um 1096 gegründet und unter
Kublai Khan (1270) im tibetischen Stil restauriert. Hier gibt es in einem der Sakralräume eine umfangreiche Sammlung
von Buddhafiguren aus mehreren Jahrhunderten und unterschiedlichen Gegenden zu sehen. Den Abend verbringe ich im Beihai-Park,
zu dem ein See mit Insel gehört. In der Mitte der Insel steht die 36 m hohe Pagode Baita, die 1651 im tibetischen Stil
erbaut wurde, als der 5. Dalai Lama zu Besuch weilte.
Montag, den 11.10.1999
Diesen Tag lasse ich ruhig angehen, denn außer einem Ausflug zur Großen Mauer steht heute
nichts auf meinem Programm. Zunächst fahre ich mit Bus und U-Bahn zu der Stelle, wo auf meinem Stadtplan die Endhaltestelle
der Buslinie 919 vermerkt ist. Der Nachteil ist nur, dass es diese nicht gibt, jedenfalls nicht hier. Nach zermürbender
Fragerei und Sucherei bringt mich ein Minibus zu der gesuchten Linie, und eine Stunde später kann ich schon die ersten Mauerabschnitte
sehen, die sich bei Badaling über die Berge schlängeln. Bevor ich das längste Bauwerk der Welt betrete, werfe
ich einen Blick in das Museum, welches sich mit der Geschichte, strategischen Bedeutung und vielgestaltigen Architektur der
„Great Wall“ befasst. Der größte Teil der heute erhaltenen Mauer stammt aus der Ming-Dynastie (1368 - 1644).
Die Ursprünge reichen aber bis in die Frühlings- und Herbstperiode (770 - 476 v. Chr.) zurück. Die Länge der
Großen Mauer wird sehr unterschiedlich angegeben, da häufig mehrere Wälle parallel laufen: Gegen Ende der Han-Zeit
zum Beispiel wuchs ihre Länge auf 10.000 km. Ihre Höhe beträgt 7 - 9 m, stellenweise sogar 16 m, und an der Basis
misst sie durchschnittlich 7 m in der Breite. Es schließt sich eine Galerie an, in der die Besuche unzähliger
Staatsmänner dokumentiert werden, darunter Willy Brandt und Roman Herzog. Ich schließe mich nun den Tausenden
von Touristen an, die täglich auf der Mauer herumklettern. Jedoch beginnen sich die Reihen oberhalb des Standes, wo
die „I climbed the Great Wall“ - T-Shirts verkauft werden, stark zu lichten...
Am Ende meiner Reise: Die Chinesische Mauer
Meinen letzten Abend ich China verbringe ich allein in meinem Zehnerzimmer in der Jugendherberge und
sortiere: Was lohnt sich überhaupt noch, dass ich es wieder mit nach Hause nehme, der ramponierte Regenschirm, die
durchlöcherten Socken, der schwer reparaturbedürftige Fotoapparat?
Dienstag, den 12.10.1999
Um 8 Uhr früh laufe ich zum Himmelstempel und habe gerade noch Glück: Noch sind die meisten
Touristen beim Frühstück und ich kann fernab jeglicher Hektik das von der Morgensonne beschienene Heiligtum bewundern.
Die Farbsymbolik liegt im Dach, das mit blauen Ziegeln gedeckt ist. Doch als ich wenig später an der sogenannten Echomauer
bin, sind schon so viele Gruppen da, dass es unmöglich ist, die außergewöhnlichen akustischen Effekte dieser
Mauer wahrzunehmen. Während ich noch überlege, wieviele tausend Menschen dieser Tempel, wo einst die Kaiser des
„Reiches der Mitte“ dem Himmel opferten und für eine gute Ernte beteten, heute wohl wieder sehen wird,
kämpfe ich mich durch das Getümmel nach draußen.
Himmelstempel
Nachdem ich in der Jugendherberge mein Gepäck abgeholt habe, fahre ich mit der U-Bahn-Ringlinie zum
überaus prächtigen Palast der Harmonie und des Friedens (Lamatempel). In der farbenfroh gestalteten Haupthalle steht
eine riesige Buddhastatue, die aus einem einzigen Stück Sandelholz geschnitzt ist, und sogar ins Guinnessbuch der Rekorde
aufgenommen wurde. Die Ausstellungen mit Sondereintritt schenke ich mir und begebe mich zum unweit gelegenen Konfuziustempel,
wo es wesentlich ruhiger ist. Nachdem ich in der Tempelhalle die historischen Musikinstrumente bewundert habe, entspanne ich mich
noch ein bisschen unter den jahrhundertealten Kiefern. Dann fahre ich zurück zum Hauptbahnhof und finde nach einiger Sucherei
den richtigen Bus zum Flughafen, wo es zunächst einige Unklarheiten bezüglich des Zielflughafens meines Fluges gibt:
Dieser ist nämlich Madrid, doch werden vorher noch Zwischenlandungen in Shanghai und Paris eingelegt.
Abflug ist um 20:20 Uhr. Nachdem die Ausreiseformalitäten in Shanghai erledigt sind, könnte es eigentlich weitergehen,
wenn nicht nach einiger Wartezeit die Lautsprecher verkündeten, es gebe einen technischen Defekt am Flugzeug und man
müsse die Ankunft einer anderen Maschine abwarten. Statt des üppigen Abendessens, auf das ich mich schon die ganze
Zeit gefreut habe, gibt es nun in einem Warteraum des Flughafens trockene Kekse und Orangensaft aus der Dose. Da die Dauer
dieser Warterei ungewiss ist, lege ich mich auf den „bequemen“ Kunststoffsitzen erst einmal schlafen...
Mittwoch, den 13.10.1999
Der Sonnenaufgang beginnt um 9 Uhr Beijing Time über den endlosen Weiten der Wüste Gobi,
taucht auch die Einsamkeit Sibiriens in glühende Röte, und erst über der Ostsee beginnt die blasse
Sonnenscheibe über den Horizont zu steigen. Der Grund für dieses Phänomen liegt darin, dass das Flugzeug
nach Westen fliegt und dabei mit seiner Geschwindigkeit die Erddrehung kompensiert. Dann überfliege ich die Ostsee,
Kopenhagen, Hamburg, Belgien und bin um 8:30 Uhr in Paris, Charles de Gaulle: Dollars in Francs einwechseln, Zugticketkauf
und Bahnfahrt. Mit 10 Minuten Verspätung kommt der Zug spätabends daheim an.