Faszination pur: Südindien

Samstag, den 31.7.1999

Zuerst verschaffe ich mir einen Überblick über Tiruchchirappali, und zwar von dem auf einem 80 m hohen alleinstehenden Granitfelsen erbauten Rock Fort; von hier oben kann ich schon mein nächstes Ziel erblicken, die 6 km entfernte Tempelstadt Sri Rangam. Das Allerheiligste dieses Tempels ist von sieben Mauern und insgesamt 21 Gopurams umgeben. Der mächtigste dieser Tortürme ist beachtliche 73 m hoch. Der Tempel ist Vishnu geweiht, dessen achte Inkarnation, Krishna, eine der beliebtesten Gottheiten in Indien ist. Er spielt die Hauptrolle in dem Epos Mahabharata, welches zu den wichtigsten Schriften des Hinduismus gehört. Zahlreiche Legenden ranken sich um diese freche Sagengestalt: Einer Frau zum Beispiel, die im Fluss ein Bad nimmt, stiehlt er die Kleider und mit seinem Flötenspiel verführt er die hübschen Hirtenmädchen (ein beliebtes Motiv in Tempeln). Mit einem Führer erkunde ich die weitläufige Anlage: Figuren von Krishna und den Hirtenmädchen, sowie von den anderen neun Inkarnationen Vishnus, die 100- und die 1000-Säulen-Halle und die Pferdehalle, deren Pfeiler von meisterhaft skulptierten Pferden geschmückt werden. Dazu kunstvolle Malereien und kleine Tempelchen ohne Zahl.

Pferdehalle
Pferdehalle in Sri Rangam

In einem Raum steht ein Tempelelefant mit dem Symbol Vishnus auf der Stirn. Nachdem ich einige der Gläubigen beobachtet habe, tue ich es ihnen nach: Ich gebe dem Elefanten eine Münze in den Rüssel, die er an den danebensitzenden Brahmanen weiterreicht um dann seinen Rüssel zur Segnung auf meinen Kopf zu legen.

Tempelelefant
Tempelelefant

Da ich keine Gelegenheit zum Reservieren hatte und der Zug recht voll ist, muss ich diese Nacht wie alle anderen, die keinen Sitzplatz mehr ergattern konnten, auf dem Boden schlafen...

Sonntag, den 1.8.1999

4:30 Uhr Ankunft in Bangalore, eine Stunde Aufenthalt, Umsteigen, dann nochmals vier Stunden Fahrt bis Mysore. Etwas unausgeschlafen stehe ich dort am Bahnhof und kann beim besten Willen nicht herausfinden, ob, wie und wo ein Bus nach Somnathpur fährt. Jeder sagt etwas anderes, Busse scheint es auch nicht zu geben und informative Schilder sind mit der Hindischrift geschrieben. Deshalb leiste ich mir nach der unbequemen Nacht den Luxus einer Taxirundfahrt.

Der Keshava-Tempel in Somnathpur ist zwar kleiner als ich erwartet hatte, dafür aber ein Meisterwerk der Hoysala-Architektur: Er wurde während der Dynastie der Hoysalas im 12. bis 13. Jahrhundert erbaut. Um den sternförmigen Bau ziehen sich Figurenfriese mit Elefanten, Reitern, Blumen, Nilpferden und Gänsen. Auf einem werden Szenen aus den großen hinduistischen Epen Mahabharata und Ramayana dargestellt. Der Innenraum ist prächtig: Gedrechselte und fein verzierte Säulen tragen die filigran bearbeiteten Deckenfelder. Im Sanktum ist es eng und stockdunkel, und im Schein meiner Taschenlampe starren mir die Götter und Götzen entgegen, als hätte ich sie gerade aus ihrem jahrhundertelangen Schlaf gerissen.

Somnathpur
Keshava-Tempel in Somnathpur

Meine Taximobilität nutze ich, um auch dem alten Regierungssitz Srirangapatna einen Besuch abzustatten. Den Sri Ranganathasvami-Tempel erreiche ich kurz bevor er geschlossen wird, habe aber noch die Möglichkeit, einen kurzen Gang durch das dem Gott Vishnu geweihte Heiligtum zu machen. Mehr Zeit habe ich im 1784 erbauten Sommerpalast von Tipu Sultan, der ein großes Reich in Südindien beherrschte und sich jahrelang erfolgreich gegen den Ansturm der Briten zur Wehr setzte. Die farbenfrohen Malereien an den Wänden zeigen Prozessionen und Schlachtengetümmel. In dem Museum, das in den herrlichen Gemächern untergebracht ist, wird die Geschichte auf Gemälden und Münzen wieder lebendig.

Zurück in Mysore stürme ich gleich in den Amba Vilas: Dieser im sogenannten indosarazenischen Stil erbaute Palast wurde in den Jahren 1897 bis 1912 unter der Leitung eines englischen Architekten errichtet. Er ist einer der größten und reichsten in ganz Indien. Drinnen herrscht eine verschwenderische Pracht: Fotos von den fein bemalten Säulen, der achteckigen Riesenkuppel, der Galerie und dem goldenen Löwenthron gibt es aber leider keine; die Kamera musste draußen bleiben! Nachts erstrahlt der Amba Vilas im märchenhaften Glanz von mehreren Tausend Glühbirnen.

Während ich noch vor dem Palast sitze, kommt eine Schulklasse mit ihrem Lehrer vorbei. Sofort beginnen sie mich nach dem Wohin und Woher zu fragen. Nach kurzer Zeit kommt ein Betteljunge vorbei und tischt eine Lügengeschichte auf: Seine Mutter sei im Krankenhaus und sein kleiner Bruder müsse in die Schule. Kurzum, er brauche Geld für Medikamente und um die Schulgebühren zu zahlen. Der Lehrer geht mit gutem Beispiel voran und ermuntert seine Schüler, auch ihr Scherflein beizutragen. Die Unwahrheit fliegt aber auf, der Pauker steht blamiert da, und es ist köstlich zuzuschauen, wie die Jungs hinter seinem Rücken Grimassen schneiden und sich über ihn lustig machen. Nicht umsonst wird in allen Reiseführern davon abgeraten, Kindern Geld zu geben. Helfen kann man damit gar nicht, höchstens ein schlechtes Gewissen beruhigen. Zu dumm nur, dass die Inder keine Reiseführer über Indien lesen...

Montag, den 2.8.1999

Wie ungeschickt: Am Bahnhof habe ich in Erfahrung gebracht, dass der nächste (und einzige) Zug nach Hassan erst um 18 Uhr abfährt! An der Gepäckaufbewahrung empfängt mich ein verschmitztes Männchen und weist mich mit Bedauern darauf hin, dass nur verschlossene Gepäckstücke angenommen werden können - so die Vorschrift. Also hole ich ein kleines Vorhängeschloss heraus, umwickle es mit der Seilzugschnur des Rucksacks und hantiere ein bisschen mit dem Schlüssel herum. Nun zeige ich ihm das Schloss und den Schlüssel, den ich demonstrativ in meine Hosentasche stecke. Er ist zufrieden und mein Gepäck unter Dach und Fach. Dann beschließe ich den Chamundi Hill zu besteigen, von dem man einen tollen Blick auf Mysore haben muss. Bevor ich diesen jedoch erreiche, entdecke ich zufällig eine Ansammlung von tempelartigen Ruinen. Durch ein Loch in der Umfassungsmauer betrete ich die Anlage; es sind die Gräber der Wodejar-Herrscher (17. Jahrhundert), wie ich von dem alten Mann erfahre, der seine Kühe zwischen den von Bäumen und Gestrüpp überwucherten Mausoleen grasen lässt. Sonst ist kein Mensch hier und ich kann in aller Ruhe den Atem der Vergangenheit an diesem verwunschenen Ort spüren.

In einem Tempel sehe ich, wie ein Opfer zu Ehren Ganeshas abläuft (was ich natürlich gleich zelebrieren muss): Am Eingang kauft man sich eine Tüte mit Laddhus (Süßigkeiten) und lässt diese beim Priester weihen. Mit einem kleinen Silberlöffel gießt dieser dem Opfernden einen Schluck heiliges Wasser in die Hand, welches dieser nun trinken muss. Oder zumindest so tun, denn keimfrei ist dieses Wasser trotz seiner Heiligkeit sicher nicht. Anschließend darf man die geopferten Leckereien selbst essen!

Drei Stunden dauert die Zugfahrt bis Hassan und nachdem ich mir ein Zimmer gesucht und gegessen habe, lasse ich den Abend in der „Kwality-Bar“ bei einer Flasche KingFisher-Bier ausklingen.

Dienstag, den 3.8.1999

Mit einer Motorrikscha fahre ich zu den etwas abgelegenen Heiligtümern von Belur (31 km) und Halebid (37 km). Diese wurden (ebenso wie Somnathpur) im 12. Jahrhundert unter der Dynastie der Hoysalas errichtet. Nachdem ich den Ansturm der aufdringlichen Postkarten-, Schnitzereien- und Flötenverkäufer heil überstanden habe, kann ich den eindrucksvollen Doppeltempel von Halebid in aller Ruhe bewundern. Das Bauwerk liegt erhöht auf einer 1,50 m hohen Plattform, die der äußeren Gestalt des Tempels folgt. Den Unterbau schmücken herrliche Friese, darüber meisterhafte Skulpturen, mit überreichem Schmuck behangene Trägerfiguren.

Weiter geht die Fahrt durch bäuerliche Kuhdörfer und sanfte Hügellandschaft zum Chennakeshava-Tempel in Belur; dieser ist von einer Außenmauer umgeben und beinhaltet mehrere Nebenschreine. Er ist einer der bedeutensten der Hoysalabaukunst. Zurück in Hassan esse ich am Straßenstand einer älteren Frau eine Riesenportion Reis mit pikanter Kräutersoße.

Belur
Chennakeshava-Tempel in Belur

Nachmittags fahre ich mit dem Zug weiter bis Bangalore. Dort gönne ich mir ein Zimmer im „Sanman Deluxe Hotel“ mit Fernseher, Klimaanlage und noblem Bad (umgerechnet DM 14,- pro Nacht).

Mittwoch, den 4.8.1999

In dem horrenden (!) Übernachtungspreis ist auch noch die Zeitung enthalten, die ich unter der Zimmertür zugeschoben bekomme: In Westbengalen forderte ein schweres Eisenbahnunglück über 700 Tote. Mein Vertrauen in die Bahn erschüttert das aber nicht, zumal die noch das kleinere Übel ist, verglichen mit dem Horror auf den Straßen, den ich jeden Tag miterlebe.

Tagsüber schlendere ich durch die wegen ihrer Parks und vielen Bäume sehr grüne Stadt Bangalore, die sonst jedoch weitgehend frei von Sehenswürdigkeiten ist. Sie ist mit einem angenehmen Klima gesegnet, da sie knapp 1000 m hoch liegt, und wird „Silicon Valley Indiens“ genannt, denn hier boomt die Elektronik- und Softwarebranche. Als ich später im Zug nach Hyderabad sitze, ist mein Gegenüber denn auch ein Informatiker, mit dem ich mich eine Weile unterhalte.

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