Das Goldene Dreieck: Jaipur - Delhi - Agra
Samstag, den 21.8.1999
Mein erstes Ziel in Jaipur ist Fort Amber, welches etwas außerhalb liegt. Wie auch die meisten anderen
Touristen lege ich den steilen Aufstieg auf dem schwankenden Rücken eines Elefanten zurück. Die Festung wurde im 16. und
17. Jahrhundert erbaut, und ist ein wunderbares Zeugnis der Rajputen-Architektur: Zu den schönsten Torbögen in Indien wird das
an Mosaiken reiche Ganesh Pol gezählt. Die Siegeshalle (Jai Mandir) ist mit kunstvollen Ornamenten im indosarazenischen Stil
geschmückt, die sich aus lauter kleinen Spiegeln zusammensetzen. Genauso sieht auch die herrliche Decke des Shish Mahal (Spiegelhalle)
aus: Bei geschlossenen Türen ist es in dem fensterlosen Raum fast dunkel, und eine in den unzähligen Spiegelchen tausendfach
reflektierte Kerze imitiert einen prächtigen Sternenhimmel!
Jai Mandir (Siegeshalle) in Fort Amber
In Jaipur selbst besichtige ich zuerst den Palast, der zwar eine riesige Waffensammlung und eine Kunstgalerie beherbergt,
aber trotz des herrlichen Pfauenhofs (Pritam Niwas Chowk) hinter den Palästen von Udaipur und Jodhpur zurückstehen muss. Im Hof
stehen riesige Silbergefäße, in denen der König auf seinen Auslandsreisen Ganges-Wasser für seine rituellen Waschungen
transportierte. Gleich nebenan befindet sich das Jantar Mantar, eine 1728 - 1734 angelegte Sammlung von astronomischen Instrumenten, die
gigantische Ausmaße annehmen (das größte ist 27 m hoch)! Der Palast der Winde (Hawa Mahal) besteht fast nur aus der Fassade und ist
die bekannteste Sehenswürdigkeit von Jaipur. Mit seinen fast 900 Fenstern bot er den zahlreichen Frauen des Palastes die Möglichkeit,
dem Treiben auf der Straße, z. B. bei Prozessionen, zuzuschauen, ohne selbst gesehen zu werden. Jaipur wird wegen der rosaroten
Häuser der Altstadt auch „Pink City“ genannt. Der engländerfreundliche Maharaja ließ nämlich im Jahre
1883 anlässlich eines Besuches von Prinz Albert die ganze Stadt in der Willkommensfarbe rot anstreichen. Seitdem ist es für
die Hausbesitzer in den wichtigen Straßen Pflicht, weiterhin für rote Fassaden zu sorgen.
Andernfalls übernimmt dies die Stadtverwaltung und stellt die Malerarbeiten in Rechnung.
Ein junger Rikschafahrer bietet eine Stadtrundfahrt für 5 Rupien an. Ein Spottpreis, auch für indische
Verhältnisse! Beim Einsteigen betone ich extra, dass ich nicht in Shops oder Hotels geführt werden möchte. Er verneint.
Gegen Ende der Tour jedoch soll ich eine „factory“, einen Handwerksbetrieb, besichtigen. Klar, dass damit einer der riesigen
Souvenirtempel gemeint ist, die etwas außerhalb liegen, und deshalb an Rikschafahrer Kommission zahlen, damit diese die Touristen
herbringen. Da ich mich weigere, dorthin mitzukommen, wird er plötzlich sehr böse! Er schimpft und zetert, droht, mich
irgendwo auszusetzen, verflucht alle Deutschen, und versucht, mich doch noch umzustimmen. Da ich aber auch kein Unmensch bin,
bekommt er zusätzlich noch etwas Geld, damit er mich nicht dort hinbringt.
Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich: Am Abend bin ich bei einem Edelsteinverkäufer,
der einen ähnlichen Deal wie Babaji mit mir machen möchte. Als ich ablehne, will er mich
offensichtlich günstig stimmen (ich könnte ja der Polizei einen kleinen Hinweis geben...), und bietet mir Halsketten aus
Jade, Türkis und Tigerauge an. Vertraulich erzählt er mir, welche Preise in der Regel für solche Schmuckstücke
verlangt werden, und was sie in Wirklichkeit wert sind. Und tatsächlich: Einige Tage später lasse ich die Kettchen von
einem anderen Juwelier begutachten: Er erklärt sie für echt und schätzt den Preis einer Kette auf 300 Rupien,
für die ich 25 Rupien gezahlt habe!
Dieses war der zweite Streich, doch der dritte folgt sogleich: Während ich noch auf den sehr spät
abfahrenden Zug warte, lädt mich ein Junge ein: Seine Familie sei sehr musikalisch, und sie würden mir gerne etwas
vorspielen. Es ist dann zwar nicht seine Familie, wo er mich hinführt, dafür erwarten mich zwei andere Buben, die einige
Stücke auf ihren Tablas spielen. Diese Musikinstrumente bestehen aus einer Holz- und einer Metalltrommel. Danach führt
mich der erste vor die Tür, und will mir weismachen, diese Familie sei bitterarm und, weil sie für Konzerte im Ausland
mehrere tausend Dollar bekommen, sei ein Trinkgeld meinerseits in Höhe von 500 Rupien angemessen! Geschickt eingefädelt,
aber ich lasse mich inzwischen nicht mehr so leicht über den Tisch ziehen: Ich gebe ihm 100, was immer noch sehr großügig ist.
Sonntag, den 22.8.1999
Früh um halb 8cht erreiche ich die indische Hauptstadt, die 9-Millionen-Metropole Delhi. Als erstes suche ich mir ein
Hotel, um mich nach den Übernachtungen im Zug endlich einmal wieder duschen zu können. Ganz in der Nähe findet ein Gewürzmarkt statt:
Hunderte von Händlern bieten ihre betörende und zum Niesen reizende Ware in riesigen Säcken feil und häufen Berge von
getrockneten Chilischoten an: ein Fest der Farben und Gerüche! Mit einer Rikscha fahre zum Connaught Place, dem Zentrum von New Delhi,
in dessen Nähe sich auch das Nationalmuseum befindet. Dazu komme ich aber nicht, weil ich von einem Inder beschwatzt werde, das Museum sei
heute eh geschlossen und er wisse etwas viel Besseres: Gemeinsam fahren wir zum etwas abseits gelegenen
Lotustempel (Bahá'i House of Worship). Dieser Tempel steht Besuchern aller Religionen zum Gebet offen und strahlt eine
paradiesische Ruhe aus. Nachdem wir in der Stadt zurück sind, merke ich, dass auch dieser sympathische, etwas schüchterne
Mann ein schwarzes Schaf ist. Für die Rikschafahrt hat er mir glatt den doppelten Preis abgeknöpft! Lustig finde ich das erst,
als ich ihn zur Rede stelle: Noch nie habe ich einen Menschen derart schwitzen sehen! Mehrmals wischt er mit einem Taschentuch seine
Stirn trocken, während er sich mit den fadenscheinigsten Argumenten herauszuwinden versucht: „He, warum schwitzt Du denn so?“.
„Mensch, ist doch so heiß hier!“. Erst als ich mit der Polizei drohe, kommt aus irgendeinem Versteck am Gürtel der
Hunderter wieder zum Vorschein.
Später entdecke ich eine goldene Kuppel im Häusermeer der Neu-Stadt und plaudere mit einem rauschebärtigen
alten Mann, der mir erklärt, dass dies ein Sikh-Tempel sei, und mich freundlich dazu auffordert, diesen zu
besichtigen. Am Eingang bekomme ich ein Kopftuch, da der Zutritt ohne Kopfbedeckung gegen die religiösen Vorschriften verstößt.
Im Vorhof befindet sich ein großes Becken, in dem die Männer wie Frauen rituelle Bäder vornehmen, dahinter erhebt sich
der kuppelgekrönte Bau. Nach dem Besuch des Tempels werde ich von den Priestern zum Reisessen in der Gemeinschaft der
Gläubigen eingeladen, die wie an einer langen Tafel auf dem Boden sitzen. Anschließend statte ich der Kathedrale, die gleich
gegenüber liegt, einen Besuch ab, und finde den einzigen Buchladen auf meiner Reise, der auch deutsche Zeitungen hat. Nach einem
Bummel durch das Regierungsviertel mit Parlament und diversen Ministerien lese ich im Hotelzimmer die FAZ (für die ich 40-mal mehr
als für eine indische Tageszeitung zahlen musste = deutscher Preis + Porto!).
Montag, den 23.8.1999
Heute steht Old Delhi auf meinem Programm, und ich beginne gleich mit dem Highlight, dem riesigen Roten Fort, das
ich durch das imposante Lahore Gate betrete. Innen verbindet sich die vollendete Mogularchitektur der Privatpaläste mit lauschigen
Gartenanlagen. Das Red Fort ist das größte Monument der mogulischen Herrscher (Bauzeit von 1639 bis 1648). Das 1000 mal
500 m große Gelände wird von einer hohen Sandsteinmauer und einem tiefen Wassergraben umgeben.
Baderaum im Roten Fort
Ein Abstecher zu den jenseits
des Flusses erbauten Denkmälern für namhafte Politiker fällt ins Wasser, denn ich finde den Weg
nicht gleich, und so können mich die verführerischen Düfte eines Restaurants dazu überreden, diesen Programmpunkt
zugunsten eines ausgiebigen Mittagessens fallen zu lassen. Auf diese Weise gestärkt nehme ich den Aufstieg auf das 40 m hohe
Minarett der Jami Masjid, der größten Moschee Indiens, in Angriff und genieße oben einen herrlichen Blick auf das Red Fort,
die Moschee und die Stadt.
Die Jami Masjid in Old Delhi
Anschließend mache ich nach langer Sucherei im Labyrinth der umliegenden Gassen und Basare einen Laden
ausfindig, dessen Inhaber mir ohne handeln zu wollen („Der Inder handelt nicht!“) einen Kompass verkauft, den ich so lange
entbehren musste. Doch die Freude über diesen Erwerb währt nicht lange:
Als ich weiterlaufe, berührt mich etwas Weiches am Nacken: Juckpulver der übelsten Sorte, wie ich nach
einigen Augenblicken feststellen muss. Nachdem ich das Gröbste entfernt habe, mache ich mich schnell aus dem Staub, denn mir ist klar geworden,
dass, wer sich oben kratzen muss, natürlich nicht merkt, was ihm unten alles aus den Hosentaschen gezogen wird, ein wahrhaft
bösartiger Anschlag! Unter unsäglichen Qualen erkundige ich mich am Bahnhof noch nach einer Weiterfahrtsmöglichkeit
für den nächsten Tag, und dann verbringe ich erst einmal längere Zeit unter der Dusche, um meinem brennenden Rücken
Linderung zu verschaffen. Nachdem der Juckreiz etwas abgeklungen ist, mache ich noch einen Spaziergang und schaue zu, wie sich Ochsenkarren
und meterhoch vollgepackte LKW im nächtlichen Lieferverkehr durch enge Sträßchen zwängen.
Dienstag, den 24.8.1999
Nachdem ich gefrühstückt und E-Mails geschickt habe, fahre ich um 11 Uhr mit dem Zug nach Agra, wo ich
um 15:30 Uhr ankomme. Am Bahnhof muss ich vor den allzu aufdringlichen Rikschafahrern flüchten, dann suche ich mir ein Hotel und laufe
zum Red Fort von Agra. Dieses hat bis zum Sonnenuntergang geöffnet, so dass ich die strahlende Schönheit der reich verzierten
Paläste, die herrlichen Marmorinkrustationen und goldenen Kuppeln im Abendlicht der Sonne genießen kann.
Die Ähnlichkeit zum Roten Fort von Delhi ist unverkennbar. Mit einem Bummel durch die unglaublich engen und verwinkelten
Altstadtgässchen mit ihren bunten Läden und tausend verschiedenen Gerüchen lasse ich den Tag ausklingen.
Mittwoch, den 25.8.1999:
Ein Bus bringt mich in die tote Stadt Fatehpur Sikri. Sie wurde 1572 von Kaiser Akbar an diesem
glückverheißenden Ort gegründet, wo der Sitz des Heiligen Shaikh Salim war. Doch kaum fertiggestellt,
wurde der Herrschersitz wegen Wassermangel und Grenzzwischenfällen schon wieder verlassen. Geblieben sind der
großzügig angelegte Palastbereich und die Moschee. Am Eingang lauern schon die Fremdenführer, die mit
Sprüchen wie „10 Rupees only!“ locken. Ich probiere lieber nicht aus, mit welch unlauteren Tricks sie den
Preis nachträglich erhöhen wollen, denn für 10 Rupien hat hier sicher noch niemand eine Führung bekommen!
Die Pracht und Monumentalität ist überwältigend. Schon das gigantische Siegestor, durch das der
Besucher den Innenhof der Moschee betritt, zieht ihn in seinen Bann. Das marmorne Gitterwerk am Grabmal des Heiligen Salim Chisti
gilt in seiner Feinheit in ganz Indien als unübertroffen. Im Inneren befindet sich ein kunstvoller Schrein.
Wunderbar gut erhalten sind auch die Palastanlagen, vollständig aus rotem Sandstein errichtet. Ich frage mich, wo all
die Touristen sind, die sich laut Statistik im Subkontinent tummeln müssten: Besichtigen sie wirklich nur das Taj Mahal
oder den City Palace von Jaipur, und lassen solch architektonische Perlen links liegen? Ich jedenfalls genieße die
ruhige Atmosphäre, besonders als ich noch einen Spaziergang außerhalb des Museumsbezirks mache. In diesem
Teil der Stadt lassen Bauern ihre Kühe weiden, und keiner kümmert sich um die verwitternden Ruinen...
Das Siegestor in Fatehpur Sikri
Das Taj Mahal, ein oktogonaler Bau von 56 m Seitenlänge und 58 m Höhe, wird überwölbt
von einer gewaltigen Mittelkuppel (74 m) und vier kleineren Kuppeln an den Seiten. Feinste Einlegearbeiten (Pietra Dura) aus
Halbedelsteinen verzieren Teile der Außenfassade, aber vor allem das Innere des Mausoleums. Im Jahre 1631, kurz nach dem
Tod Mumtaz Mahals, der Lieblingsfrau von Kaiser Shah Jahan, wurde mit dem Bau begonnen, und es vergingen über 20 Jahre bis
zu seiner Fertigstellung. Die Tatsache, dass er Unsummen von Staatsgeldern verschlang, war ein Grund für die gewaltsame
Machtergreifung durch Shah Jahans Sohn Aurangzeb.
Viele behaupten ja, das Taj Mahal sei DER Höhepunkt einer jeden Indienreise. Das absolute
Highlight war es meiner Meinung nach zwar nicht, aber es ist schon beeindruckend, wenn man einem der berühmtesten Gebäude der Welt
gegenübersteht. Die herrlichen Seitentore und Moscheen neben dem Taj dienen nur als Kulisse für das bezüglich
Proportionen, Schmuckreichtum und Architektur einzigartig perfekte Bauwerk. Der reinweiße Marmor leuchtet in der Abendsonne,
ein unvergesslicher Anblick! Im Inneren ist es leider so dunkel, dass die feinen Pflanzenornamente, die - obwohl kaum 3 cm groß -
aus bis zu 60 präzise geschnittenen Einzelteilen bestehen, gar nicht richtig zur Geltung kommen können.
Herrliche Verzierungen im Inneren des Taj Mahal
Nach Sonnenuntergang fahre ich zurück zum Bahnhof und erkundige mich nach dem nächsten Zug nach Gwalior.
Der steht auf Gleis 1 schon zur Abfahrt bereit. Also schnell zur Gepäckaufbewahrung und den Rucksack holen! Während der Beamte
noch das Wechselgeld zusammensucht, sehe ich, wie sich der Zug in Bewegung setzt. Schon will ich ihm den Rest als Trinkgeld lassen,
da hat er es endlich beisammen, und mit einem kühnen Sprung lande ich in einem der letzten Waggons (anders als in Deutschland werden
die Türen hier nicht gleich beim Losfahren verschlossen, sondern stehen oft sogar während der ganzen Fahrt offen).