Hongkong und Kanton

Skyline
Die faszinierende Skyline von Hongkong
(Zum Vergrößern draufklicken!)

Samstag, den 25.9.1999

Guangzhou: Heute muss ich mich zum ersten Mal so richtig darüber ärgern, dass es mit der Verständigung eben nicht hundertprozentig klappt und es daher überdurchschnittlich lange dauert, bis ich früh um 5 Uhr am Hauptbahnhof in Guangzhou einen geöffneten Fahrkartenschalter finde, bis ich dort erfahre, dass die Züge nach Hongkong vom Ostbahnhof abfahren, bis ich den zweiten auf meinem Stadtplan eingezeichneten Bahnhof, zu dem ich hingelaufen bin, als Rangiergleis enttarne, bis ich die richtige Buslinie zu besagtem Ostbahnhof ausfindig gemacht habe, bis ich dort unter den unzähligen (meist geschlossenen) Schaltern den richtigen entdecke, und bis eine versteckte Filiale der Bank of China ihre Pforten öffnet, weil mein Geld für das unverschämt teure Zugticket nicht mehr gereicht hat!

Um 14 Uhr bin ich dann endlich in Hung Hom Station (Hongkong, Stadtteil Kowloon) angekommen, miete mich für 60 HK$ (15 Mark) in einem 20-Betten-Schlafsaal im 13. Stock ein und erkunde das umliegende Viertel, wobei ich die Skyline von Hongkong bewundern kann und auf die Methodistenkirche stoße: Drinnen ist kein Mensch, die Orgel ist nicht verschlossen und das Choralbuch mit chinesischen Texten liegt auf dem Spieltisch...

Eine Stunde später wird es dunkel und das Licht am Notenpult geht nicht, so dass ich mit dem Musizieren leider Schluss machen muss. Und ich begebe mich auf die (überaus schwierige) Suche nach einem erschwinglichen Abendessen.

Sonntag, den 26.9.1999

Schon auf dem Weg zur Andreaskirche sehe ich in Hotel- und Kaufhauseingängen Schilder mit Taifunwarnungen; dies ist auch der Grund, warum der Gottesdienst, den ich besuchen wollte, nicht stattfinden kann, wie mir der Pfarrer, der seine Schäfchen vor dem Gotteshaus erwartet, mit Bedauern mitteilt. So bleibt mir nichts anderes übrig, als der Konkurrenz einen Besuch abzustatten: Die Moschee mit der modernen, spiegelverzierten Kuppel liegt nicht weit entfernt in derselben Straße. An der Uferpromenade ist es unheimlich windig und regnerisch, und sowohl das Space Museum als auch die Kunsthalle sind geschlossen. Fähren nach Hongkong Island fahren jetzt natürlich nicht.

Nachdem sich das Wetter gebessert hat, schlendere ich durch den vielgestaltigen Kowloon Park, in dem es Vogelvolieren, Schwimmbäder und eine Skulpturensammlung gibt. Früher stand hier ein berüchtigtes Viertel, nach dessen Abriss der Park eingerichtet wurde. Sichtbare Spuren hat ein anderer Taifun vor wenigen Tagen hinterlassen: Mehrere Bäume sind entwurzelt worden, und liegen malerisch herum.

Kowloon Park
Flamingogehege im Kowloon Park

Montag, den 27.9.1999

Fünf Minuten dauert die Überfahrt mit dem Schiff nach Hongkong Island, Central District, weshalb ich beschließe, am Abend wieder zurückzufahren und nicht, wie erst geplant, mit einem nicht zu findenden Bus zur ewig weit entfernten Jugendherberge auf der Insel zu fahren. Der Nachteil ist nur, dass ich nun den ganzen Tag lang meinen großen Rucksack mitschleppen muss, denn die Gepäckaufbewahrung am Hafen ist unbezahlbar! Zu den sogenannten Midlevels fahre ich mit der längsten Rolltreppe der Welt: Bei diesem Rekord wurde nur etwas geschummelt, denn dieser 800 m lange „Hillside Escalator“ ist in viele kleine Abschnitte unterteilt. Hier habe ich erst einmal Probleme, mich in diesem dreidimensionalen Gewirr von mehrfach übereinandergebauten Straßen, Brücken und Treppen, sowie sich am steilen Hang in die Höhe reckenden Wolkenkratzern zurechtzufinden. Über 20.000 Menschen drängen sich hier auf jedem Quadratkilometer!

Victoria Peak
Blick vom Victoria Peak auf Hongkong

Die „Catholic Cathedral of the Immaculate Conception“ sieht richtig klein aus, wie sie so zwischen den sie um ein Vielfaches überragenden Wohntürmen liegt. Ebenso wie diese Kirche bildet auch der Botanische Garten mit Zoo eine Insel der Ruhe in der hektischen Stadt. Einen unvergleichlichen Blick auf das Häusermeer genieße ich während eines Spaziergangs um den Victoria Peak, den ich mit der extrem steilen Peak Tram erreiche. Nach einem ausgedehnten Bummel durch den „zentralen Distrikt“ nehme ich die Fähre zurück nach Kowloon und sitze noch lange Zeit mit Bier am Pier, den Anblick der lichtdurchfluteten Skyline von Hongkong genießend.

Cathedral
Cathedral of the Immaculate Conception

Dienstag, den 28.9.1999

Im Jahre 1997, also vor gar nicht allzu langer Zeit, wurde die britische Kronkolonie Hongkong an China zurückgegeben. An der Grenzkontrolle des Hung Hom Bahnhofs werde ich eines Besseren belehrt: Mein chinesisches Visum ist durch die Fahrt nach Hongkong (= Ausreise aus der Volksrepublik) ungültig geworden. Gezwungenermaßen fahre ich nun mit dem Nahverkehrszug bis zum Grenzort Lo Wu und habe auch noch Pech im Unglück, denn wegen der gerade beginnenden Mittagspause muss ich vier Stunden warten und die üppige Gebühr von 80 DM zahlen, bis ich ein neues Visum habe. Im Bus nach Guangzhou wird auf dem Fernseher eine chinesische Gaunerkomödie gezeigt, während draußen die Sonne untergeht.

Erwähnung fände jetzt nur noch, dass es, so schwierig es auch war, ein brauchbares Zugticket zu bekommen (einzig verfügbar nur noch für den nächsten Tag am Mittag mit dem Hardseater), es dafür um so einfacher war, aus meinem Zimmer in der Jugendherberge eine E-Mail zu senden: Ein nepalesischer Geschäftsmann mit Laptop hatte sich in die Telefonbuchse eingestöpselt!

Mittwoch, den 29.9.1999

Damit ich an diesem einen Vormittag möglichst viel von Guangzhou sehen kann, breche ich früh auf. Mein erstes Ziel ist die Shi-Shi-Kathedrale, die die Franzosen 1888 von dem Architekten Guillemin errichten ließen. Der reine neugotische Stil will aber nicht so recht in die Altstadt passen, und so reihen sich vor der Kirche Garküchen, Gemüsehändler und ekelerregende Trockenfischläden. Doch viele Westler (inklusive mir) lernen die wahren Gaumenfreuden, die auf so einem Straßenmarkt angeboten werden, gar nicht zu schätzen. Neben schmackhaften Schalen- und Gliedertieren, schwimmen die ungewöhnlichsten Fischsorten in Eimern, tummeln sich Schildkröten, Schnecken und Frösche. Muscheln und Seepferdchen gibt es auch getrocknet, und zwar in dem Laden, wo auch der gepökelte Trockenfisch ausliegt: Bei dem Gestank vergeht einem Hören und Sehen! Doch auch die nach westlichem Vorbild eingerichteten Supermärkte sind um einige Spezialitäten bereichert: So finden sich im Kühlregal, auf einem Styroporteller eingeschweißt, ein Dutzend abgehackte Hühnerköpfe, ebenso auch deren Füße, die als Knabberei für Zwischendurch dienen. Nicht weit davon entfernt steht ein Becken mit Schildkröten: Einmal habe ich Glück und kann beobachten, wie eine Frau sich eines dieser armen Tiere ausgesucht hat, um ihrer Familie als Abendessen zu dienen. Die Schlächterin rückt an, schon rollt der Kopf über den Tisch, der Panzer wird geknackt, und in wenigen Minuten hat sie die zuckenden Eingeweide fein säuberlich zerlegt und geordnet. In den Eistruhen vieler Läden gibt es Mais- und Rote-Bohnen-Eis. Ein alter Mann geht mit seinem Singvogel, der munter im Käfig herumhüpft, Gassi. Durch diese mit dem täglichen Leben erfüllten Straßen komme ich zum Hualin-Tempel.

Buddha
Lachender Buddha im Hualin-Tempel

Sehenswert ist besonders die „Halle der 500 Luohans“, in der diese Schüler Buddhas als vergoldete, lebensgroße Statuen aufgereiht sind. Gleich am Eingang sitzt ein recht beleibter Buddha, der den Besucher lachend empfängt. Neben dem Altar steht eine Figur mit breitkrempigem Hut, die angeblich Marco Polo darstellt. Nebenan liegt eine kleine Ahnenhalle mit tausenden Gedenktäfelchen an den Wänden, die teilweise auch mit einem Foto des Verstorbenen versehen sind.

Marco Polo
Diese Figur stellt angeblich Marco Polo dar.

In der Jugendherberge hole ich mein Gepäck, und spurte zur Bushaltestelle: Den Bus Nr. 5 erwische ich zwar noch, nur bleibt dieser im Verkehrschaos hoffnungslos stecken. Denn obwohl viele Chinesen mit dem Fahrrad fahren, sind die Straßen in den Großstädten meist hoffnungslos überfüllt. Erst nach über einer Stunde komme ich am Bahnhof an. Hier kann ich nur noch resigniert feststellen, dass mein Zug vor fünf Minuten abgefahren ist! In der Schalterhalle kauft mir jemand mein ungültig gewordenes Zugticket, welches einst 171 Yuan gekostet hatte, für 100 Yuan ab, und ich erstehe ein neues für denselben Zug am kommenden Tag. Gleich in der Nähe finde ich ein Hotel, in welchem ich gegen Vorlage meines Jugendherbergsausweises ein billiges, dafür aber um so komfortableres Zimmer bekomme.

Am Nachmittag laufe ich dann zum Guangxiao-Tempel, einem der ältesten von Guangzhou: Eine Eisenpagode im hinteren Teil des Tempelgeländes stammt aus dem 10. Jahrhundert. Die Figur des schlafenden Buddha im Tempel soll angeblich denjenigen Frauen Fruchtbarkeit geschenkt haben, die sie mit ihrem Bettlaken berührten.

Zum Abendessen gibt es in einem Restaurant eine kantonesische Spezialität: Dim Sum, das sind kleine Teigtaschen, die mit allem Möglichen gefüllt sein können. Ich bekomme sie in einer Brühe schwimmend serviert, und es ist gar nicht so einfach, sie mit den Stäbchen herauszufischen!

Donnerstag, den 30.9.1999

Mit einem ordentlichen Frühstück im Hotel lasse ich den Tag beginnen; dann betrete das China-Telecom-Gebäude am Bahnhofsvorplatz, um ein paar E-Mails nach Deutschland zu senden. Nachdem ich mich im Foyer erkundigt habe, geleitet mich ein Angestellter in den ersten Stock, wo ein nächster mir zuvorkommend einen Platz an einem der Computer anbietet. Das Beste kommt, als ich mich nach den Tarifen erkundige: Keinen Pfennig muss ich zahlen, und kann dafür surfen so lange ich möchte!

Einige Einkäufe und Mittagessen mache ich noch, bis der Zug nach Hangzhou um 11:56 Uhr abfährt. Sonst gibt es heute nichts Aufregendes mehr zu berichten, nur dass es nachts etwas unbequem wird, auf den engen „Hartsitzen“ zu schlafen. Beim Kartenkauf war es nämlich schier nicht möglich, eine Karte für den Liegewagen zu bekommen; diese waren hoffnungslos ausgebucht. Die Tickets für den „hardseater“ beinhalten keine Sitzplatzreservierung, so dass beim Besteigen (besser: Erstürmen) des Zuges ein harter Kampf um die Sitze beginnt. Die später zusteigenden Reisenden haben dann sowieso keine Chance mehr.

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